Wo ich lernen durfte, dass Gemeinschaft doch gelebt werden kann
Es ist bereits dunkel, als wir uns am 28. Oktober 2023 dem Hof von Micha und seiner Familie im mittleren Schwarzwald nähern. Nach einer Autofahrt durch die verschiedenen Regionen des Schwarzwaldes sind wir die letzten Kilometer eine Serpentinenstraße hinaufgefahren, die uns sehr an unsere Urlaube in Bayern und an unsere Zeit in den Karpaten in Rumänien erinnert. Natürlich fahren wir erstmal an der unscheinbaren Einfahrt zum Hof vorbei, nicht zuletzt auf Grund meiner Nervosität, die ich bei Fahren mit dem Gespann jedes Mal entwickle.
Wir müssen also circa einen Kilometer von der Einfahrt entfernt im Wald auf einem gottseidank breiten Feldweg drehen und noch einmal zurückfahren. Diesmal kommt genau aus der Einfahrt, in die wir hineinwollen und müssen, ein anderes Auto heraus. Ein großer SUV mit Anhänger. Mit den beiden großen Gespannen ist es etwas eng auf der Straße und in der Einmündung. Der Fahrer wirft uns einen nicht gerade freundlichen Blick zu, der sehr deutlich macht, dass er nicht gut findet, dass wir nun mit dem Wohnwagen in die enge Straße rein wollen, die uns zum Hof bringen soll.
Mit viel Liebe zum Detail
Beim Abbiegen taucht vor uns ein kunterbunter, fantasievoll-gestalteter Wegweiser auf, der einen Ort ganz nach unserem Geschmack verheißt. Micha hatte uns währen unserer Zeit bei Jonathan und Sophie auf dem Unteren Berghof via Instagram angeschrieben: „Hallo Lukas, hier ist Michael. Also wenn ihr zufällig mal durch den mittleren Schwarzwald fahrt, wäre es mega genial, wenn ihr hier ein wenig Camping macht und wir uns dabei kennen lernen würden…;) Ich glaub, da gibt es die ein oder andere Synergie. Ansonsten wünsche ich euch eine gute Reise. Micha“
Wir hatten uns sehr über diese Nachricht gefreut und da wir sowieso im Schwarzwald unterwegs waren, beschlossen wir bei Lebendium unser nächstes Etappenziel einzuplanen.
Micha holt uns bei der nächsten Kreuzung ab und leitet uns den Weg zu dem Platz, an dem wir unseren Wohnwagen abstellen sollen. Auf dem kurzen Weg von der Abbiegung zum Parkplatz, fühlen wir uns, als wären wir an genau dem richtigen Ort gelandet. Wir werden von blökenden Schafen begrüßt. Im Licht unserer Scheinwerfer erblicken wir zunächst zwei kleine liebevoll gestaltete Klohäuschen, die Komposttoiletten vermuten lassen (bei einem handelte es sich um eine Außendusche) und eine Jurte (die keine ist, sondern ein Geodom mit Jurtenhaut) und zu Lukas Freude einige Mulch-Gemüsebeete. Beim Rangieren mit dem Wohnwagen, um diesen in die richtige Parkposition zu bringen, fällt der Scheinwerfer auf einen weiteren kunterbunten Wegweiser, dessen Schilder nach Hogwarts, Phantasien und (in Richtung des Hofes) nach Utopia verweisen. Diese kleinen Details gemeinsam mit der super sympathischen Art und Weise von Micha lassen uns hier direkt ankommen.
Ankommen in einer Märchenwelt
Dabei wird uns der wirkliche Zauber dieses Ortes erst am nächsten Tag bewusst. Wir erwachen an einem Ort, der an eine Zauberwelt erinnert. Der Hof liegt in einem kleinen Dorf, in dem noch mehrere andere Bauerhöfe liegen. Das gesamte Dorf ist in den Hang eines Berges gebaut und öffnet sich in ein Tal aus Wiesen und Weiden, dass auf der anderen Seite an einen Berg voller dichter Wälder grenzt. Diese Wälder sind jetzt im Oktober wunderschön bunt und farbenprächtig und erstrecken sich über verschiedene Hügel und Berge bis zum Horizont. Die Höfe bestehen aus typischen traditionellen Gebäuden, wie man sie sich im Schwarzwald vorstellt und haben alle eins gemeinsam: sie stehen schon sehr lange und sind meistens fast genauso lange schon im Besitz der Familien, die sie heutzutage bewohnen und bewirtschaften. Wenn man sich hier umsieht, versteht man, wie und warum die Märchen und Sagen unserer Vorväter entstanden sind.
Was uns im Laufe der Zeit hier stark beeindruckt hat? Der Gemeinschaftssinn und der Zusammenhalt, in den Dörfern und Gemeinden. Im Nachbarort hat diese Gemeinschaft sogar einen genossenschaftlichen Dorfladen eröffnet und führt diesen seit 5 Jahren erfolgreich. Und auch bei Lebendium wirkt die Gemeinschaft. Das Gewächshaus wurde gemeinsam mit den Nachbarn erbaut und finanziert und durch die Abgeschiedenheit vom „Rest der Zivilisation“ (und das ist keinesfalls abwertend gemeint) musste man eine kreative Lösung finden, um gemeinsam für Internetempfang zu sorgen. Hier sind die Ellenbogenmentalität und der Egoismus dieser Gesellschaft scheinbar noch nicht angekommen.
Lukas´ Video mit Micha
Wenn Ihr mehr über Michael und Lebendium – Utopia erfahren wollt, hier kommt ihr zu dem YouTube-Video, das Lukas mit ihm gemacht hat:
Ich gehe entlang einer viel befahrenen Straße Richtung Innenstadt. „Was für eine hässliche Stadt“ denke ich so bei mir. Ich bin genervt von den Autos, die an mir vorbeirauschen und auf die ich gezwungenermaßen achtgeben muss; Ich bin genervt von dem asphaltierten Untergrund, auf dem sich in der Feuchte des letzten Regenschauers das Licht der Straßenlaternen spiegelt; Ich bin hauptsächlich genervt von mir selbst und meinem Leben. Seit fünf Monaten befinden wir uns auf dieser Reise quer durch Europa. Mit vier kleinen Kindern und meinem Mann bin ich seit fünf Monaten unterwegs und wir leben in einem Wohnwagen, um die Welt bzw. Europa zu erkunden und uns von den Strapazen der letzten Jahre zu erholen. Wir sind dem Bauernhof, den wir bis zum Sommer in Deutschland bewirtschaftet haben, entflohen. Wir sind frei und ungebunden. Wir haben alles hinter und gelassen, unser Haus ausgeräumt, den größten Teil unserer Sachen verschenkt, verkauft und weggeschmissen und sind in ein 12 Quadratmeter großes Zuhause auf Rädern gezogen, in der Hoffnung das Glück und die Leichtigkeit zu finden…
Wenn Träume wahr werden, oder auch nicht
… Leider haben wir zwar den Ort gewechselt und es hat sich auch einiges gebessert, aber nicht alles. Wir sind auch unterwegs immer noch wir und wir haben immer noch diese vier Kinder, die wir von Herzen lieben und zu gleich regelmäßig zum Mars wünschen. Wir sind immer noch wir und diese Reise war nicht im Ansatz das, wofür wir sie gehalten haben. In unserer Vorstellung dachten wir immer, sobald wir unterwegs wären, wäre alles großartig; sobald wir unterwegs wären, würden wir uns viel besser verstehen; wir würden so viel Zeit für die Kinder und uns gegenseitig haben und jeder von uns würde natürlich nebenbei noch seinen Hobbys und Interessen frönen können. Und die Leichtigkeit, die wir in unserer Kindheit und Jugend gefühlt haben, wiederfinden. Nichts von alledem ist eingetroffen. Ich habe die letzten drei Wochen 24 Stunden am Tag mit den Kindern verbracht. Ich werde morgens davon geweckt, dass der Vierjährige auf mich springt, um mich zu wecken und schlafe abends ein, während ich den Jüngsten ins Bett bringe. Dazwischen habe ich gekocht und gefüttert, Streit geschlichtet, aufgeräumt, mich um die Wäsche gekümmert, mit der Ältesten ihre Schulaufgaben erledigt, war spazieren oder im Schwimmbad, damit wieder ein paar von uns sauber und geduscht sind, war einkaufen und habe Lukas den Rücken fei gehalten, damit er zumindest ein paar Stunden für seine Projekte und seine zukünftige Karriere hat.
Die erste Me-Time seit drei Wochen
Über all diese Dinge denke ich nach, während ich diese furchtbare Straße in dieser fremden Stadt entlang gehe und dank Lukas das erste Mal seit drei Wochen ein paar Minuten ohne Kinder verbringe. Dort drüben geht endlich eine kleine Brücke über den kleinen Fluss. Als ich mich ihr nähere sehe ich, dass es eine reine Fußgängerbrücke ist. Ich werde also endlich die blöden Autos los. Unter der Brücke tost der vom geschmolzenen Schnee gefüllte Bach und beim Blick von der Brücke auf die beleuchteten Häuser am anderen Ufer schießen mir die Tränen in die Augen ob der Schönheit dieses Anblicks. Ich bleibe einen kleinen Moment lang stehen, bevor ich weiter gehe und auf der anderen Seite von einem völlig anderen Blick in derselben Stadt empfangen werde. Auf der anderen Seite weicht der hässliche Asphalt einem rot-grauen, einladenden Kopfsteinpflaster und die dunklen Häuser weichen barocken Stadthäusern mit gelbem und weißem Anstrich. Zwischen den Häusern sind über die Gassen Lichterketten mit großen Sternen in der Mitte gespannt. Die gesamte Innenstadt ist beleuchtet und voller Leben. Mir kommen lachende Menschengruppen entgegen und an den Tischen der Restaurants und Bars sitzen Pärchen und Familien.
Ich ziehe weiter meine Runden durch die Stadt ohne Ziel oder Anliegen. Aber meine Stimmung ist anders als zuvor an der großen Straße. Ich sehe in die Geschäfte und sehne mich danach dort hineinzugehen und mir das einladende Sortiment anzusehen und für mich oder die Kinder etwas Schönes auszusuchen. Aber neben der Tatsache, dass wir im Wohnwagen keinen Platz für Konsumgüter haben, haben wir jetzt gerade vor Weihnachten auch nicht mehr viel Geld übrig. Deshalb kann ich mir auch keine Pizza oder keinen Salat in einem der netten Restaurants leisten. Allein spazieren zu gehen und mir etwas mehr Zeit zu nehmen, bevor ich in den Supermarkt gehe und für uns die notwendigen Lebensmittel für die nächsten Tage besorge, sind der größte Luxus, der gerade im Budget liegt.
Unerwartete bekannte Klänge
Die lange Gasse, die ich entlang gehe, öffnet sich zu einem kleinen Platz auf einer Kreuzung, als mir aus der Richtung, in die ich gehe, die Carmina Burana von Carl Orff entgegenschallt. Als ich nach rechts in die Gasse blicke, sehe ich einen großen Palast, der von lila Licht beleuchtet wird. Ich wende mich kurz nach links und denke, dass mir meine Augen einen Streich spielen. Da läuft der Nikolaus in voller Montur die Straße hinunter. Begleitet von zwei kleinen Engeln. Wegen dieses Anblicks entscheide ich mich doch weiter geradeaus zu laufen. Auf die laute Musik zu, die inzwischen von Carl Orff zu Rammstein „Mein Herz brennt“ gewechselt ist. Die Musik wird regelmäßig von dem Aufheulen eines Motors unterbrochen und undefinierbarem Knallen, dass von den Häuserreihen links und rechts der Gassen hin und hergeworfen wird. Am Ende der Gasse, die ich nun entlang gehe, bildet sich eine große Menschentraube. Eine Gruppe junger Menschen kommt mir lachend entgegen. Zwei von ihnen sind im Gesicht schwarz angemalt. Ich betrete einen Buchladen auf der Suche nach einem Buch von Helene Flöss, die hier in dieser Stadt gelebt hat. Ich hoffe in ihrem Buch das Gefühl des Lebens in dieser Stadt zu finden. Wie fühlt sich jemand, der hier gelebt hat; hier am besten noch groß geworden ist. Noch mehr habe ich die leise Hoffnung zu erfahren, wie das Leben sich hier angefühlt hat vor der Zeit, derer ich so müde geworden bin. Als diese wunderschöne Innenstadt noch nicht umschlossen war von den Flüssen von Autos auf Asphalt, die nun an beiden Seiten an ihr vorbeiströmen.
Ein Gefühl von Ausgeschlossensein
Ich werde nicht fündig, fühle mich allerdings auch nicht in der Lage und Stimmung nachzufragen und kaufe aus einem Pflichtbewusstsein heraus zwei andere Bücher aus dem Belestrik Regal. Die Verkäuferin kassiert mich ab und da hinter mir kein anderer Kunde wartet frage ich sie, ob sie mir sagen kann, was da draußen los ist. „Krampuslauf“. Ist die knappe und nicht zu weiteren Nachfragen einladende Antwort. Ich nehme meinen Einkauf und verlasse das Geschäft. Die Menschenmenge hat sich in der kurzen Zeit verdoppelt. Die Menschen scheinen ausgelassen und fröhlich und stehen in Gruppen vor einer Absperrung, die verhindert, dass jemand auf die Straße tritt. Kurz überlege ich, ob ich mich dazu stellen soll und mir das Spektakel ansehen sollte. Ich entscheide mich dagegen. Ich habe das Gefühl hier nicht dazu zu gehören. Sowohl weil ich nicht hierher in diese Stadt gehöre und niemanden kenne und allein als Einzelgänger neben Menschen stehen würde, die sich hier mit ihren Freunden und der Familie getroffen haben, aber auch weil meine Stimmung immer noch nicht gut ist. Ich würde mich lieber in eine dunkle Höhle im Wald verkriechen und einfach keiner Menschenseele begegnen, als mich in eine Ansammlung feiernder Menschen zu stellen. Außerdem würde ich mich beim Bleiben in die Gefahr begeben, dass irgendeiner der Krampusse auf die Idee kommt mein Gesicht schwarz anzumalen. Das könnte ich jetzt nicht gebrauchen, dass mir ein fremder Mensch ins Gesicht fast.
Begegnung am Wegesrand
Ich gehe also mit schnellen Schritten den Weg, den ich gekommen bin, zurück, bin aber noch nicht bereit wieder nach Hause in den Wohnwagen zu gehen. Ich wende mich an der Kreuzung nun nach rechts. Der Nikolaus und seine beiden Engel sind zu meiner Erleichterung nirgendwo zu sehen. Ich hoffe diesen Weg ein Stück weit gehen zu können und dann von dort aus wieder auf die Straße zu kommen, die mich zurück zum Supermarkt und dann nach Hause bringt. Die Straße geht zweihundert Meter in die von mir gewünschte Richtung, bevor sie vor einem riesengroßen Palais mit Parkanlage davor eine Kurve nach rechts beschreibt und damit direkt auf die Straße des Krampuslaufs zu geht. Ich drehe also wieder um und entkomme den Krampussen und laufe genau auf den Nikolaus und die Engel zu, die ein Haus auf der linken Straßenseite verlassen und mir zunicken, bevor sie sich den Kindern widmen, die dort schon stehen und warten. Auf den Gesichtern, dieser Kinder breitet sich sofort ein breites Lächeln aus und ich bekomme noch mit, wie der Nikolaus die Kinder begrüßt und ihnen sagt, sie sollen sich vor den Krampussen in Acht nehmen. Ich hatte es fast vergessen, aber morgen ist Nikolaustag. Der 6. Dezember 2023.
Gefangen im Reisealltag
Kurz habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich meine Kinder nicht mit in die Stadt genommen habe. Wir sind so in unserem neuen Familienalltag gefangen, dass ich (und ich glaube Lukas geht es genauso) ganz vergessen habe, warum ich diese Reise hier unbedingt machen wollte. Um mehr von der Welt und fremden Orten und Leben mitzubekommen und um den Kindern die Welt zu zeigen und ihre Kindheit nicht zu verpassen. Und trotzdem ist meine schönste Zeit unterwegs die, die ich ohne die Kinder und Lukas verbringen kann. Und wenn ich einem fremden Brauch begegne, laufe ich vor diesem weg, mit dem Gefühl ein Fremdkörper und Außenseiter zu sein.
Aber der Nikolaus und seine Engel haben mir zu gelächelt und kurzfristig habe ich mich gefühlt, wie als Kind, wenn man dem Nikolaus begegnet ist. Ich habe automatisch zurück gelächelt und in meinem Bauch war da dieses warme, wohlige Gefühl gesehen und wahrgenommen zu werden. Ich bin erwachsen, ich weiß, dass der Nikolaus ein Mensch im Kostüm ist (der dazu noch italienisch spricht). Und dennoch hat mich der Mythos des heiligen Nikolaus in Form dieses Mannes in seinem Kostüm in seinen Bann gezogen. Er hat mich kurzfristig meine Sorgen vergessen lassen und mich in dieser fremden Stadt willkommen geheißen.
30. November 2023: Nachdem wir es die letzten Wochen nicht geschafft haben, aus Deutschland wieder los zu kommen, fahren wir am Wochenende endlich weiter in den Süden. Es ist auch inzwischen viel zu kalt geworden, um es mit 6 Personen noch lange im Wohnwagen lebend, hier auszuhalten. Plötzlich ist der große Wohnwagen nämlich sehr eng für die Bedürfnisse von 6 Individuen.
Entscheidungen zwischen Herz und Hirn
Nach langen Überlegungen und vielen langen Diskussionen ist bei uns eine Entscheidung gefallen. Wir werden Weihnachten nicht nach Hause kommen und ich werde das erste Mal in meinem Leben Weihnachten nicht mit meinen Eltern in meinem Elternhaus feiern. Genau deswegen habe ich sehr heftig und sehr intensiv mit meinem Mann (der grundsätzlich nicht so emotional im Thema Weihnachten ist wie ich) diskutiert.
Es war immer der Plan an Weihnachten nach Hause zu kommen und das Fest der Liebe mit den Liebsten zu feiern. Mit den geliebten und gewohnten Traditionen. Mit Entenbrustfilet in Honig-Orangen-Soße und Kroketten und dem leckeren grünen Salat meiner Mama (ich esse gar keine Entenbrust mehr, aber die Soße ist so lecker). Mit dem geschmückten Weihnachtsbaum und der großen Krippe mit Landschaft, die mein Vater jedes Jahr aufbaut und dekoriert und die er schon seit meiner Kindheit versucht vor den spielenden Kindern zu schützen.
Nachdem wir aber nun fast 3 Monate aus verschiedensten Gründen (die meisten haben mit Bürokratie zu tun) in Deutschland geblieben sind, hat es allerdings keinen Sinn schon in der Mitte des Dezembers wieder nach Deutschland zu kommen. Zumindest nicht wenn wir noch einige der Länder auf unserer Wunschliste für dieses eine Jahr Europareise sehen und erkunden wollen. Das muss sogar ich ,bei aller Emotionalität in der Sache, einsehen. Kurzfristig hatte ich den Plan gefasst, ob wir dann nicht einfach den Wohnwagen in Italien stehen lassen und uns Zugtickets holen und mit einem Kurzaufenthalt in der Schweiz doch noch irgendwie über die Feiertage nach Hause fahren sollten.
Das können wir uns bei vernünftiger Betrachtung allerdings genauso wenig leisten, wie die Strecke mit dem Auto zu überwinden. Beide Varianten hätten im Nachhinein unwiderruflich Konsequenzen für unsere weitere Reise.
Ein Traum gegen einen Traum
Der Traum Weihnachten nach Hause zu kommen und den Kindern und mir selbst zu zeigen, dass wir immer noch dorthin gehören, weil wir doch die wichtigste Zeit im Jahr für die Familie dort verbringen, steht also im direkten Konflikt zu dem Traum der Reise durch Europa und der Möglichkeit möglichst viele Länder auf dieser Reise zu besuchen. Und noch konkreter können wir nicht die Reise zu Weihnachten nach Hause und eventuell eine Fahrt mit der Autofähre von Italien nach Griechenland beide im Dezember und oder Januar bezahlen.
Also kommen wir nicht nach Hause. Wir bleiben in Italien, nutzen die Chance uns italienische Weihnachtstraditionen anzusehen und freuen uns umso mehr im nächsten Jahr wieder mit den Liebsten in der Heimat zu feiern. (Wobei Lukas hofft, dass wir Weihnachten zum mindest zu Teil ab jetzt immer in einem anderen Land feiern wollen und werden).
Ein Hauch von heimatlicher Weihnacht
Zumindest haben wir den 30. November genutzt, um ein bisschen in die deutsche Weihnachtskultur einzutauchen und waren in Konstanz auf dem Weihnachtsmarkt am See. Und ich habe noch nie einen so schönen und romantischen Weihnachtsmarkt besucht. Wobei das eventuell auch an der Situation und der ihr innewohnenden Melancholie liegen könnte. Und daran, dass wir schon mit der Fähre über den Bodensee nach Konstanz und zum Weihnachtsmarkt hin gefahren sind. Fast noch schöner war die Rückfahrt über den See in der Dunkelheit. Wir haben uns von dem einen Lichtermeer am Horizont weg zum anderen Lichtermeer am Horizont hinbewegt. Dazwischen tiefste Dunkelheit, unterbrochen nur durch die Beleuchtung unserer Fähre und der Fähren, die uns entgegen kamen.
Wir haben auf dem Weihnachtsmarkt Pommes und Käsespätzle gegessen gebrannte Mandeln gekauft und sogar einen Adventskranz für den Wohnwagen besorgt. Vielleicht feiern wir Weihnachten dieses Jahr anders. Aber wir werden es feiern. Vermutlich mit noch weniger Chancen auf weiße Weihnacht und ohne Weihnachtsbaum und Krippe und Kinderchristmette. Aber mit uns als Kernfamilie und gutem Essen. Und wer weiß vielleicht finden wir tatsächlich ja auch neue Traditionen, die wir danach in unser Weihnachtsfest Zuhause integrieren wollen.
Annie hat gerade den Krebs besiegt, um dann langsam erkenne zu müssen, dass sie ihr gesamtes Leben ändern muss, um auch wirklich weiter zu leben. Ihre Ehe, ihr Verhältnis zu ihrem Sohn und zu ihrem Vater, ihre Arbeit und ihre Freundschaften; irgendwie scheint da nichts richtig schlimm, aber eben auch nichts richtig gut zu sein. Als einer ihrer Kunden (sie ist Altenpflegerin) stirbt, findet sie in seiner Garage einen alten roten Bus, den sie sich kauft und ihn ausbaut, um im Sommer durch das schwedische Hinterland zu fahren und aus dem Bus heraus Unterwäsche zu verkaufen.
Das Buch liest sich sehr gut und ist flüssig und einfach geschrieben. Zu Beginn dachte ich daher, dass ich eine seichte Lektüre vor mir hätte und ein Buch mit einer Geschichte, die mich einlullt und mir keine tieferen Erkenntnisse zukommen lässt.
Auch die Charaktere haben mir am Anfang überhaupt nicht gefallen. Ich war zu Beginn von Annie genervt und fand ihre Arbeitskolleginnen Zaybab und Carola ätzend und nervig. Noch schlimmer empfand ich nur ihrem Ehemann Marten gegenüber.
Im beiden wurde ich am Ende eines besseren belehrt. Ich habe alle diese Charaktere zum Ende hin lieben gelernt und hätte am liebsten jeden von ihnen persönlich kennen gelernt. Okay, außer Marten, den mochte ich bis zum Schluss nicht wirklich.
Zu Annie: während sie mir zu Beginn der Geschichte langweilig und farblos erschien, hat sie sich während ihrer Fahrt mit dem roten Bus immer weiter entwickelt und sich selbst aus allen Verwicklungen gelöst, die sich im Laufe ihres Lebens eingegangen war. Im Grunde genommen hat sie sich mit dem Lauf des Busses entschieden sich selbst zu ermächtigen und sich von allen um sich herum nicht mehr objektivieren zu lassen.
Und mit dieser Entwicklung von Annie, entwickelt sich ihr und mein Bild auf die anderen Charaktere. Am Ende konnte ich mich mit ihr und ihnen identifizieren! und für mich einiges aus dem Buch mitnehmen.
Und gerade die „einfache“ Sprache hat dazu geführt, dass ich ohne Anstrengung von der Geschichte lernen konnte…
Ich empfehle das Buch Frauen, die sich in ihrem eigenen Leben ein Stück weit gefangen fühlen. Und Männern, denen es genauso geht. Eigentlich sollte das Buch jeder lesen, der sich in ein Leben eingewickelt hat und dem es vielleicht helfen könnte darüber nachzudenken, ob er dieses eingewickelte Leben so weiterführen möchte.